Mein Kultur-Tipp für Euch: Nach Bruchsal!

Die Uraufführung eines sehenswerten Kinderstücks

„Drum schont mir an diesem Tage Prospekt nicht und nicht Maschinen“ forderte der Theaterdirektor im Vorspiel zu Goethes Faust und wünschte sich, dass auf dem Theater, dem „engen Bretterhaus“, der „ganze Kreis der Schöpfung“ durchwandert wird. Diese Wünsche müssen auch dem Team der Badischen Landesbühne Bruchsal durch den Kopf gegangen sein, als es an seine erste Kindertheaterpremiere in der nun beginnenden Spielzeit 2014/15 gedacht hat.

Sophie Reyers „Anna und der Wulian“ stand zur Uraufführung auf dem Programm. Das Stück hatte die Wiener Autorin im Auftrag des Theaters geschrieben. Schon dieser Entwicklungsprozess, in dem sich die Autorin mit den Theaterkünstlern und auch dem zukünftigen Publikum ständig rückgeschlossen hatte, war für das Team der vielbeschäftigten Landesbühne ein Kraftakt. Aber „think big“ lautete die Devise in Bruchsal.

Zusätzlich beauftragte man die Puppenspielerin Birte Hebold aus Frankfurt am Main und die Kölner Musiker „Tonverbrecher“ zur Mitarbeit. Der Finanzchef des Theaters schlug – ob des Aufwandes – fast die Hände über dem Kopf zusammen, aber eine zusätzliche Förderung der Autorin und auch des Theaters aus dem Projekt „Nah dran! – Neue Stücke für das Kindertheater“ durch das Kinder- und Jugendtheaterzentrum in der BRD und den Deutschen Literaturfonds ermöglichte diese aufwendige Inszenierung. Schließlich gab der Erfolg, der sich bei der Premiere am 19. September zeigte, allen Recht. Der Aufwand hatte sich gelohnt, die Kunst gesiegt.

Die Regie von Jörg Bitterich – gemeinsam mit dem Team – hatte gekonnt und variantenreich die ganze Vielfalt der Theatermittel eingesetzt. In 60 Minuten schlüpften die vier Darstellerinnen und Darsteller im schnellen Wechsel in unzählige Rollen, schonten nicht Kostüm und Maske, ließen Puppen spielen und gestalteten den Bühnenumbau mit choreografischem Witz. Diese Regie- und Spielweise korrespondierte bestens mit dem Stück, das ganz auf Phantasie setzt. Inszenierung und Autorin-Intention trafen sich im kleinen Hexagon der Badischen Landesbühne Bruchsal auf wunderbare Weise.

Das Stück „Anna und der Wulian!“ beginnt fast ein wenig zu konventionell. Das Mädchen Anna kommt von der Schule und sitzt vor verschlossener Wohnungstür. Ihre alleinerziehende Mutter ist noch unterwegs. Aufmunternde Worte gibt’s vom alten Wohnungsnachbarn und Ansprache erhält das Kind vom Hausmeister. Dass dieser ein Verhältnis mit der Mutter hat, wird Anna später klar und auf ihre Frage „Warum küsst Du den?“ erhält sie ein „Ich erklär dir das später“. Damit öffnen sich beim Schlafengehen Tür und Tor für Annas (Alp-)Träume und Phantasien. An der Wand taucht ein Schatten auf, der Hase Wulian, der für Anna bedrohlich zum „Riesenmonsterhasen“ anwächst. Doch es stellt sich raus, dass auch er Angst hat – gute Voraussetzungen, um gemeinsam die Traumreise voller Abenteuer durchzustehen.

Sophie Reyer hat damit ein anspruchsvolles Stück für das Kindertheater geschrieben. Ohne Zweifel hat es den Bühnen und dem Publikum viel zu bieten und es wäre wünschenswert, wenn Stück und die noch wenig bekannte Autorin in der Theaterlandschaft ihren Platz finden. Siehe www.dieblb.de.

Porträt Henning Fangauf Henning Fangauf, ist Stellvertretender Leiter des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland.

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Mit diesem Kulturtipp beteiligen wir uns an der Blogparade der Museumsbloggerin Tanja Praske. (Mehr Informationen zur Blogparade und alle Beiträge: Klick)

4 Kommentare

  1. Lieber Herr Henning Fangauf,

    toll und vielen Dank für diesen sehr schönen Beitrag zur Blogparade #KultTipp! Lange lesen wir uns bereits auf Twitter, deshalb freut mich Eure Teilnahme umso mehr!

    Das Kinderstück klingt sehr anspruchsvoll und stimmt nachdenklich. Für welches Alter ist es denn gedacht? Und wie kam es bei den Kindern an? Ich bin sehr neugierig auf den ersten Stimmen-Fang zum Stück. Zugleich liest sich der Entstehungsprozess und die Vielzahl der Beteiligten, auch der Institutionen sehr sportlich. Ich gratuliere zu dem Kraftakt und wünsche ganz, ganz viele kleine und große Zuschauer!

    Schöne Grüße aus München
    Tanja Praske

  2. Liebe Tanja Praske,
    danke für die Nachfragen. Ja, Stück und Inszenierung haben viel zu bieten, in Text und Bild. Menschen ab 8 Jahren werden ihre Freude dran haben. Gruß Henning Fangauf

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